463 Mal wurde in «Aktenzeichen XY … ungelöst» ein Fall aus der Schweiz behandelt. BLICK rollt die spektakulärsten Filmfälle noch einmal auf – und zeigt die Schweizer Karte des Verbrechens.

Von Tom Wyss und Spiridon Petridis


Das allererste ungeklärte Verbrechen aus der Schweiz wurde am 24. Januar 1969 für die Kapo Luzern ausgestrahlt. Insgesamt fast 60 Filmfälle wurden in den 50 Jahren «XY» für Schweizer Polizeibehörden gezeigt, dazu über 400 Fahndungen.

Besonders viele ungeklärte Schweizer Verbrechen gab es in den Jahren 1969, 70, 80, 83 und 94. Seit dem Ausstieg des Schweizer Fernsehens im Jahr 2003 wurden nur noch ganz vereinzelt Fälle aus unserem Land gezeigt. Für SVP-Politiker Maximilian Reimann (75) war der Rückzug ein Fehler. «Die SRG hätte nach über 30 Jahren erfolgreicher Ausstrahlung gar nie aus dieser Sendereihe mit dem ZDF aussteigen sollen», sagt er heute, 14 Jahre danach, zu BLICK. «Das war echter Service public im Interesse der Prävention und Aufklärung von Verbrechen.» Die Begründung der SRG für den Ausstieg, «angeblich bedingt durch die Programmstruktur», habe er als «höchst fadenscheinig» empfunden.

Das SRF selbst führt noch eine Reihe weiterer Gründe ins Feld, die zum Ausstieg geführt hätten, wie der Sender auf seiner Website schreibt. So seien immer weniger Schweizer Fälle gezeigt worden, was das Interesse der hiesigen Zuschauer habe sinken lassen. Die Verschiebung des Ausstrahlungstags habe dann endgültig dazu geführt, nicht mehr mitmachen zu können. Auch aktuell gebe es keine Pläne, «Aktenzeichen XY» wieder ins Programm aufzunehmen, sagt SRF-Sprecherin Andrea Wenger zu BLICK. «Wir beobachten das Format aber, wie viele andere auch, laufend.»

Für «XY»-Verfechter Reimann wäre es aber auch heute nicht zu spät, wieder einzusteigen. «Es waren damals ja vor allem auch unsere Polizeikorps, die 2003 die Absetzung der Sendung bedauerten», sagt er. Mit der zunehmenden Internationalisierung der Kriminalität durch das Internet einerseits und den vom Schengen-Abkommen diktieren Abbau der Grenzkontrollen andererseits mache eine länderübergreifende TV-Fahndungssendung heute erst recht Sinn, so Reimanns Credo. Er würde sich wünschen, dass eine Allianz aus Privat-TV-Sendern die beliebte Sendung ins Programm hieven würde. «Mit spezieller Abgeltung aus dem Gebührentopf.» Und auch an die Macher selbst richtet der Aargauer einen Appell. «Es wäre gut, wenn die nachgedrehten Szenen etwas weniger Brutalität aufweisen würden. Brutalität wirkt für viele Zuschauer abschreckend», findet er.

Eduard Zimmermann (2. v. l.) und seine Aussenmoderatoren Werner Vetterli (l.) und Peter Nidetzky (r.).

Werner Vetterli war der erste Mann in Zürich.

Danach übernahm Konrad Toenz. Sein Markenzeichen war die grosse Hornbrille.

Toenz und sein Wiener Kollege Nidetzky.

DIE TATORTE DER SCHWEIZER FILMFÄLLE

Das Gruseln vor der Haustüre: Die Tatorte der verfilmten Fälle in «Aktenzeichen XY» zeigen, dass praktisch alle Regionen der Schweiz einmal im Fokus standen.

Besonders viele ungeklärte Verbrechen erschütterten Zürich: Fast die Hälfte aller verfilmten Straftaten wurden für hilfesuchende Ermittler von Stadt- oder Kantonspolizei Zürich ausgestrahlt.

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Die Schweizer Karte des Verbrechens

Die Karte zeigt die Schweizer Fälle, die bei «Aktenzeichen XY» thematisiert wurden. Beim Klick auf die einzelnen Tatorte gibt es mehr Informationen zu den Fällen.

Tatorte

24. Januar 1969: Der falsche Polizist

Der allererste Schweizer Fall wurde am 24. Januar 1969 ausgestrahlt. Die Kantonspolizei Luzern sucht Georg G., der sich als Polizist ausgibt und mit dieser Masche bei mehreren Opfern Bargeld und Schmuck ergaunert. Eine Rentnerin knebelt er brutal. Ein Versuch, mit einem gefälschten Telegramm bei einer Bank in Rothenburg LU an 20’000 Franken zu kommen, misslingt. Georg G. setzt sich nach Deutschland ab, wo er erneut als falscher Polizist auftritt und Leute um Bares erleichtert. Drei Monate nach der Ausstrahlung von «Aktenzeichen XY» wird der Täter dann gefasst: Ein Zuschauer hat ihn in einem Restaurant in Augsburg (D) erkannt und die Polizei alarmiert.


13. September 1974: Der Mordfall Gyger

Fünf Jahre später wendet sich die Kantonspolizei Bern an die Macher von «Aktenzeichen XY». Gesucht wird der Mörder von Beat Gyger, einem 14-jährigen Jungen aus Thun BE, der nach einem Besuch der Chilbi am 9. Juni 1973 verschwindet – und am nächsten Tag tot im Lindenbachgraben in einem Waldstück bei Mamishaus BE aufgefunden wird. Der Junge wurde zunächst erstickt und danach von der Strasse in den Graben gestossen. Eine Zeugin sah auf der Chilbi, wie Gyger von einem knapp 20-jährigen Mann zuerst geohrfeigt wird und dann mit ihm weggeht. Der Fall ist bis heute ungeklärt.


15. April 1983: Schwuler Mann liegt tot in Badewanne

In dieser Sendung sucht die Kantonspolizei den Mörder von Manfred G., der am 26. Januar 1982 in seiner Wohnung in der Dienerstrasse im Zürcher Kreis 4 ermordet wird. G. arbeitet als Bankangestellter am Flughafen in Kloten, hält sein Privatleben vor seinen Arbeitskollegen aber geheim. Das Mordopfer ist schwul, trifft am Nachmittag des Tattags einen jungen Mann in einer Gay-Bar in der Zürcher Innenstadt. Später geht er mit ihm nach Hause. Was sich dort abspielt, und wie Manfred G. zu Tode kommt, kann die Polizei nur sehr lückenhaft ermitteln. Weil sich die Arbeitskollegen um den fernbleibenden Mitarbeiter sorgen, rufen sie die Polizei. Diese findet den 41-Jährigen tot in seiner mit Wasser gefüllten Badewanne. Der Fall bleibt ungeklärt.


8. Juli 1983: Der Kristallhöhlenmord

Dieser Fall ging als «Kristallhöhlenmord» als einer der der aufsehenerregendsten Fälle in die Schweizer Kriminalgeschichte ein. Karin G. (†15) und Brigitte M. (†17) machen sich am 29. Juli in ihrem Wohnort Goldach SG auf zu einer Velotour durchs Appenzell. Zwei Tage später kündigen sie morgens telefonisch ihre Ankunft für den Abend zu Hause an. Doch dort kommen sie nie an. Ihre Velos werden zwischen den Ortschaften Eggerstanden und Kobelwies gefunden. Von den Mädchen selbst fehlt jede Spur. Neun Wochen später werden ihre Leichen dann entdeckt – unterhalb der Kristallhöhle bei Oberriet SG. Die Polizei geht von mehreren Tätern aus, weil die beiden Mädchen in sehr unwegsamem Gebiet gefunden werden und nicht von einer Person dorthin gebracht worden sein konnten. Gefasst wurde die Täterschaft aber nie.


17. Januar 1986: Rätselhafter Taximord

Ein besonders mysteriöser Fall beschäftigt «Aktenzeichen XY» Anfang 1986. Es geht um den Mord an einem Zürcher Taxifahrer, der voller Rätsel steckt. Hans K. (†50) fährt in der Nacht auf den 29. Januar 1985 einen Fahrgast ab dem Zürcher HB ins 21 Kilometer entfernte Embrach ZH. Was dort passiert, kann die Polizei später nicht genau rekonstruieren. Ein Zeuge beobachtet kurz vor 3 Uhr, wie das Taxi zweimal zurücksetzt. Später sieht derselbe Zeuge, dass ein zweites Fahrzeug neben dem Taxi steht, und dass ein dünner Mann hineinschaut, dann aber weiterfährt. Der Taxifahrer aktiviert schwerverletzt die Autosirene und schreit um Hilfe. Er kann sich noch zu einem nahe gelegenen Haus schleppen, stirbt aber wenig später. Die durch Anwohner herbeigerufene Polizei findet das leere Taxi mit blutverschmierten Sitzen. Der Fall wird nie gelöst.


9. September 1988: Kindermörder Werner Ferrari

In dieser Sendung will Eduard Zimmermann, wie schon beim Kristallhöhlenmord, zwei besonders grausame Verbrechen an Kindern klären. Für die Kantonspolizei Aargau sucht er den Mörder zweier Jungen. Daniel (7) verschwindet am 7. September 1985 von einer Chilbi in Rümlang ZH, Christian (10) am 17. Oktober 1987 von einem Jungschartreffen in Windisch AG. Beide werden kurze Zeit später tot aufgefunden. Der Verdacht, es könne sich in beiden Fällen um ein und denselben Täter handeln, sollte sich später bewahrheiten: Werner Ferrari (70), der in den Jahren 1971–89 insgesamt fünf Kinder tötet, gesteht die Ermordung der beiden Knaben im Herbst 1989, als er wegen der Ermordung der 9-jährigen Fabienne aus Hägendorf SO verhaftet wird.


10. September 1993: Mord an Kunsthändlerin

Der Mord an der Kunsthändlerin Madeleine M. erschüttert Bern. Die 74-Jährige wird am 20. November 1992 in ihrem Antiquitätengeschäft an der Gerechtigkeitsgasse mit zwei Kopfschüssen getötet. Ob sie Opfer eines Raubmords wurde, oder der Tat ein anderes Motiv zugrunde liegt, kann die Polizei nicht ermitteln. Mehrere ihrer religiösen Kunstgegenstände wurden entwendet – könnten laut der Ermittler im «XY»-Studio aber auch nur zur Verschleierung der Tat gestohlen worden sein. Der Fall bleibt ungeklärt.


21. Januar 2000: SRF-Journalistin beim Trampen verschwunden

Die 26-jährige Heidi S. macht ein Praktikum bei SRF (damals SF DRS). Für einen Beitrag soll sie am 8. Oktober 1996 ins Museum für Gestaltung nach Weil am Rhein (D) reisen. S. lebt in Kreuzlingen TG und will den langen Weg quer durch die Schweiz per Autostopp zurücklegen. In Etappen kommt sie schliesslich zur Autobahnraststätte Forrenberg bei Winterthur, wo sie letztmals lebend gesehen wird und seither vermisst wird. Erst vier Jahre später werden in einem Waldstück bei Spreitenbach AG Teile eines Skeletts gefunden, die nochmals zwei Jahre später mittels eines DNA-Abgleichs Heidi S. zugeordnet werden können. Der Fall ist bis heute ungeklärt.


14. Januar 2009: Brutaler Mord an Tankstellenpächterin

Yasemine Y. ist Mutter einer kleinen Tochter, arbeitet in einer Tankstelle in Zürich-Seebach, die sie zusammen mit ihrem Mann gepachtet hat. Am 21. August 2008 wird die junge Frau in ihrem Tankstellenshop kurz nach Mitternacht von einem Unbekannten erstochen. Die Tatwaffe wird später in der Nähe des S-Bahnhofs Seebach gefunden. Ein Motiv für die Bluttat fehlt, gestohlen wurde nichts. Der Fall bleibt ungeklärt.


Mord an Moderatorin des britischen «Aktenzeichen»

Andere Länder setzen im Gegensatz zur Schweiz sehr konsequent auf ein Fahndungs-Format. «XY» animierte etwa Fernsehanstalten in Italien («Chi l’ha visto», seit 1989), den Niederlanden («Opsporing verzocht», seit 1982), Israel («Crime Investigation», seit 1986) und Grossbritannien («Crimewatch UK», seit 1984) zum Nachahmen. Letzteres wurde ab 1995 von der äusserst populären Nachrichtensprecherin Jill Dando moderiert. Doch die TV-Frau ereilte ein tragisches Schicksal: Am 26. April 1999 wurde sie selbst zum Mordopfer.

Ein Unbekannter streckte sie beim Verlassen ihres Hauses im Londoner Stadtteil Fulham mit einem gezielten Kopfschuss nieder. Der Mord konnte zum Glück geklärt werden: Ein Abgleich der Spuren aus der Waffe des Schützen am Tatort mit denjenigen in der Hosentasche eines Verdächtigen überführten den Täter, der 2001 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Er selbst beteuerte allerdings stets seine Unschuld, daher blieb das Motiv für die Tat bis heute unklar.

«Crimewatch UK»-Moderatorin Jill Dando wurde nur 37 Jahre alt.