Unfreiwillig komische Situationen, die Schaltungen in die Aussenbüros nach Wien und Zürich, die sonore Off-Stimme der Filmfälle: «Aktenzeichen XY» entwickelte bald auch eine kultige Seite. Es wurde von Zuschauerseite aber auch mit Kritik nicht gespart.

Von Tom Wyss und Spiridon Petridis


«Aktenzeichen» sorgte mit den brutalen Verbrechen, der unheimlichen Spannungsmusik und dem Wissen, dass es sich im Gegensatz zu TV-Krimis um echte Gewalttaten handelt, für Grusel. Doch bei aller Ernsthaftigkeit hatte die legendäre Sendung besonders in früheren Jahren auch eine unfreiwillig komische Seite. Hervorgerufen etwa durch das biedere Studiodekor, aber auch durch die hölzerne Art von Moderatoren und Kommissaren, die in der Sendung zu Gast waren.

Besonderen Kultstatus genossen die Aufnahmestudios in Wien und Zürich: Ab der vierten Sendung am 15. März 1968 beteiligte sich der ORF mit einem Aussenstudio an «Aktenzeichen XY», das zunächst von Teddy Podgorski (82) und später von Peter Nidetzky (77) geleitet wurde.

Am 24. Januar 1969 trat auch das Schweizer Fernsehen bei. Das Aufnahmestudio in Zürich stand zunächst unter der Leitung von Werner Vetterli (†80), bevor 1977 Konrad Toenz (†76) das Zepter übernahm. Der gebürtige Bündner blieb der Sendung bis 1998 erhalten. Zuletzt kamen die Schweizer Fahndungen von Stephan Schifferer (65).

Eduard Zimmermann (2. v. l.) und seine Aussenmoderatoren Werner Vetterli (l.) und Peter Nidetzky (r.).

Werner Vetterli war der erste Mann in Zürich.

Danach übernahm Konrad Toenz. Sein Markenzeichen war die grosse Hornbrille.

Toenz und sein Wiener Kollege Nidetzky.

Die Übergabe von Vetterli an Toenz erfolgte 1977.

Bitte Wien – bitte Zürich!

Beide Aussenstellen, die in Zimmermanns Studio stets via Bildschirm an der Wand eingeblendet wurden, fanden ihre Nachahmer schon bald auf unzähligen Pausenplätzen des Sendegebiets. Erstens, weil Eduard Zimmermann sich meist sehr umständlich zu den Bildschirmen umdrehte, und zweitens, weil auch im Zürcher und Wiener Studio immer viel lief, besonders im Hintergrund. Mal herrschte spassiges Treiben, mal gab es Probleme, einen Stapel Blätter zu bändigen, mal stach das geschäftige Treiben eines Telefonisten ins Auge.

Ganoven-Ede schaltet in die Aussenstudios – einer der vielen Kult-Momente der Sendung.

Werner Vetterli (†79)

Sieben Jahre lang war Werner Vetterli Eduard Zimmermanns Co-Moderator in Zürich. Der TV-Liebling war nebst seinem «XY»-Job auch als Sportreporter, als Moderator von Autosendungen sowie als Mitarbeiter bei politischen Magazinen beim Schweizer Fernsehen tätig. 1977 übergab Vetterli das Zepter an Konrad Toenz. Später schlug der SVP-Mann eine politische Karriere ein und sass von 1991 bis 1999 für seine Partei im Nationalrat. Er starb 2008.


Konrad Toenz (†75)

Von Sendung 83 bis 310 war Konrad Toenz für das Zürcher Aufnahmestudio tätig. Markenzeichen des gebürtigen St. Moritzers war seine stets etwas zu gross wirkende Hornbrille sowie seine Probleme beim Aussprechen ausländischer Namen. Den Kultstatus bei den Fans förderte beides: Zu Ehren der Schweizer «XY»-Legende eröffnete 1996 sogar ein Lokal Namens «Konrad Tönz Bar» in Berlin-Kreuzberg, die der Moderator 1998 auch persönlich besuchte. Der Journalist zog sich 2006 aus dem Berufsleben zurück, las viel und interessierte sich für guten Bordeaux. Er starb im Februar 2015 an den Folgen von Krebs.


Stephan Schifferer (65)

Schifferer übernahm das Aussenstudio von Toenz 1998 – obwohl er den Job eigentlich gar nicht wollte. Die familiäre Atmosphäre im «XY»-Team überzeugte ihn dann aber. Dennoch blieb er der Sendung – wegen des SRF-Ausstiegs – nicht lange erhalten. Ab 2003 arbeitete Schifferer als freier Journalist und Kommunikationstrainer mit eigener Firma in Gümligen BE.


Peter Nidetzky (77)

Ähnlich wie Konrad Toenz wurde auch Peter Nidetzky bald Kult. Der gebürtige Wiener fiel bei «XY» als sehr souverän auf, aber auch dadurch, weil manchmal ein Aschenbecher im Bild stand. Nidetzky moderierte die österreichischen Fälle von 1971 bis 2002 insgesamt 310 Mal – und hat somit die längste Amtszeit aller Moderatoren der Sendung inne. Danach widmete er sich verstärkt seinem grossen Hobby, den Pferden sowie dem Tauchen und der Unterwasserfotografie.


Das Gesicht zur «XY»-Off-Stimme

Auch er ist für viele Zuschauer Kult: Michael Brennicke (68), der Off-Sprecher von «Aktenzeichen XY»: Der Münchner ist mit seiner sonoren, ruhigen Tonlage, mit der er die Filmfälle der Sendung bespricht, von der Sendung kaum noch wegzudenken.

Bereits 1989 war Brennicke erstmals als Off-Stimme für das berühmte Fahndungsformat im Einsatz, arbeitet – mit einem Unterbruch – bereits fast 30 Jahre für «XY».

Michael Brennicke ist seit 1989 für die Fahndungssendung im Einsatz.

Um als Sprecher für dieses Format geeignet zu sein, müsse man die Stimme möglichst neutral halten, sagt Brennicke zu BLICK, «etwa so, wie wenn man Nachrichten liest». Dadurch werde er auch im Alltag kaum als «XY»-Mann erkannt, so der Vater von Schauspielerin Nadeshda Brennicke (44) weiter. «Manchmal sagen sogar Leute, die mich kennen: ‹Was, das bist du?›» Im Alltag modelliere ich meine Stimme natürlich viel mehr als beim sachlichen ‹XY›.»

Gleichzeitig versuche er, den Fall nicht an sich rankommen zu lassen, ergänzt der Münchner. «Auch wenn das für Aussenstehende schwierig zu verstehen ist. Aber man darf sich nicht damit belasten, sonst würde es sehr schwierig werden, und man würde früher oder später kaputtgehen.»

Dass die Sendung so erfolgreich seit fünf Jahrzehnten läuft, habe damit zu tun, dass der Mensch neugierig und interessiert sei, vermutet er. «Vielleicht denkt er, dass er auch einmal etwas zu diesen Sendungen beitragen kann, und schaltet auch deshalb immer wieder ein.»



Animierte «XY» zur Menschenjagd?

Doch trotz des Erfolgs beim Publikum: Die Sendung hatte auch immer wieder mit Kritik zu kämpfen. Hauptvorwurf an die Adresse der Show: «Aktenzeichen XY» rufe zum Denunziantentum auf – sprich: zur Menschenjagd per Bildschirm. Gegen diesen Vorwurf wehrten sich die Macher aber immer vehement: Denunzianten kämen praktisch keine vor, weil stets gezielte und eng abgegrenzte Fragen gestellt würden, weil man sehr eng mit der Kriminalpolizei und den Staatsanwaltschaften zusammenarbeite, weil jeder Anrufer Namen und Adresse angeben müsse und weil alle Anrufe auf Band aufgenommen würden.

Es gab im Laufe der Jahre aber noch weitere Kritikpunkte. Etwa, dass Verbrechen in der Sendung für Unterhaltungszwecke missbraucht würden. Oder dass die Angst vor Verbrechen verallgemeinert werde, obwohl es sich stets um Einzelfälle handle. Auch den Vorwurf, dass die gezeigten Fälle Nachahmer auf den Plan rufen könnten, mussten sich die TV-Fahnder anhören. «Ganoven-Ede» wehrte sich: Es sei kein einziger Fall eines durch «XY» motivierten Nachahmungstäters bekannt, man achte in den Filmen zudem stark darauf, keine neuen Techniken zu zeigen, die als Anleitung dienen könnten.

Immer mal wieder wurde «Aktenzeichen» ausserdem ein diskriminierender Umgang mit Minderheiten angekreidet, zum Beispiel, weil überdurchschnittlich viele ausländische Straftäter in den Fahndungsaufrufen gesucht würden. Ein Kommissar versuchte diesen Vorwurf mit den Worten zu entkräften, dass die Polizei ihre Fälle lösen wolle und anderes zu tun habe, als auf die Nationalität eines Täters zu schauen oder Länder-Quoten einzuführen.

Verkrampfter Umgang mit Schwulen

Tadel gab es auch von schwuler Seite. Schwulenaktivist Elmar Kraushaar (67) stellte anlässlich von «Ganoven-Edes» Einleitung zu einem Filmfall aus dem Jahr 1997, in dem es um einen Mord an einem homosexuellen Sadomasochisten ging, in der «Tageszeitung» die Frage: «War das jetzt ein aufklärerischer Durchbruch oder eine besonders infame Diskriminierung?» Eduard Zimmermann hatte den Fall mit dem Satz angekündigt: «Der nächste Fall (…) führt uns in eine Welt, die für die meisten unserer Zuschauer fremd und sicherlich etwas unverständlich sein wird.»

Auch in früheren Jahren ging die «XY»-Redaktion ziemlich unbeholfen mit dem Thema Homosexualität um. Statt klare Worte wurden Chiffren oder verklausulierte Sätze benutzt wie «homophile Veranlagung», «einschlägige Gaststätten», «die andere Seite seines Lebens hält er geheim», «Frauen sagen ihm nichts» oder «er geht homophilen Neigungen nach». Erst im Jahr 2001 wurde erstmals der Begriff «schwul» in einem Filmfall verwendet.

Doch trotz all der Kritiken, die die Sendung immer wieder begleiteten: Der Erfolg gab Eduard Zimmermann stets recht. Die Aufklärungsquote blieb stabil hoch, beträgt auch heute noch um die 40 Prozent.

«Aktenzeichen XY ... teilweise gelöst»


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BLICK-Serie «Aktenzeichen XY ... ungelöst»

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