BLICK hält in einer dreiteiligen Serie Rückschau auf eine der am längsten laufenden Sendungen im deutschsprachigen Fernsehen. Ein Rückblick auf Figuren, Facts, Fankult und fast 60 Schweizer Filmfälle aus 50 Jahren «Aktenzeichen XY ... ungelöst».

Von Tom Wyss und Spiridon Petridis


Dieser Fall ist auch nach 50 Jahren nicht restlos geklärt: Was macht die Faszination von «Aktenzeichen XY … ungelöst» aus? Die Fahndungssendung, die Ende Oktober 1967 (noch in Schwarz-Weiss) erstmals ausgestrahlt wurde, hat ganze Generationen durch ihre TV-Jugend und auch später begleitet.

Wir erinnern uns an das ewiggleiche, biedere Studiodekor in einem Farbton, der despektierlich als «kackbraun» bezeichnet wurde. An die bisweilen hölzern wirkenden Moderatoren in den Aufnahmestudios. An die Vorspann-Musik, die alle paar Jahre wechselte. An die etwas schrulligen Kommissare, die in viel zu bunten und mit viel zu grossen Krawatten die Fälle ihrer Kriminalpolizei vorstellten.

Am Draht für einen guten Zweck: Eduard Zimmermann im «XY»-Studio, 1972.

30 Jahre lang war «Ganoven-Ede» das Gesicht von «Aktenzeichen XY ... ungelöst».

Zimmermann mit Tochter Sabine, die ab 1987 bei der Sendung mit an Bord war.

Solche Szenen brachten uns den Grusel in die Stube: Aufnahme aus dem Jahr 1967.

Die Drähte laufen heiss: Kriminalbeamte nehmen die Zuschauerhinweise entgegen.

Bitte Wien, bitte Zürich! Zimmermann schaltet in die Aussenstudios.

Heute führt Rudi Cerne durch die legendäre Fahndungssendung im ZDF.

Und natürlich an den Grusel: Die brutalen Verbrechen, die unheimliche Spannungsmusik und besonders das Wissen, dass es sich im Gegensatz zu «Derrick» und Co. um echte Gewalttaten handelt, liess manchen Erwachsenen nach der Sendung checken, ob die Haustür fest verschlossen ist. Und Kinder schauten nach, ob unter dem Bett keine Gefahr lauert.

Dabei sollten sie die Sendung eigentlich gar nicht sehen, wenn es nach den Eltern ging. So mancher Schüler schlich sich freitagabends um 20.15 Uhr dann aber doch ins Wohnzimmer, um Ganoven-Ede bei seiner Jagd auf Gangster zuzusehen. Er war all die Jahre der rote Faden in «Aktenzeichen XY».

Zimmermanns väterliche Art kam beim Publikum von Beginn weg an, er vermittelte uns das Gefühl, alles für die Ergreifung der Übeltäter zu tun. Der Moderationsstil war zwar immer etwas flapsig – aber stets seriös. Er wusste: Nur so kann ich authentisch bleiben – bei der Polizei, mit der die «XY»-Redaktion sehr eng zusammenarbeitet. Und beim Publikum, das in all den Jahren für hohe Einschaltquoten sorgte.

20. Oktober 1967: Die erste Ausgabe von «Aktenzeichen XY … ungelöst» flimmerte in die Wohnstuben

Tochter und Vater: Sabine und Eduard Zimmermann im Einsatz für «XY».

Eduard Zimmermann, der Erfinder

Eduard Zimmermann erfand die Sendung in den 60er-Jahren, um den Bildschirm wegen der starken Zunahme von schweren Straftaten zwischen 1955 und 1965 in der Bundesrepublik Deutschland zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen.

Er kreierte das damals weltweit neuartige Format 1967 als Fortführung seines bereits erfolgreich laufenden Magazins «Vorsicht, Falle!», in dem er Betrügereien aufdeckte. Und er hatte damit Erfolg: Die Aufklärungsquote beträgt bis heute rund 40 Prozent.



Insgesamt 30 Jahre lang blieb Zimmermann dem Publikum als Aushängeschild seiner Sendung erhalten. Nach seinem Rückzug vom Schirm Ende 1997 agierte der gebürtige Münchner weiterhin als graue Eminenz im Hintergrund. Meist vom Wallis aus: Zimmermann verbrachte seinen Lebensabend zusammen mit Gattin Rosmarie (†87), mit der er seit 1960 verheiratet war, in seiner Wohnung in Leukerbad VS. Nach Rosemaries Tod im Januar 2008 zog Zimmermann zurück nach Deutschland. Er starb am 19. September 2009 demenzkrank in München.

Mittlerweile führt Rudi Cerne sein Erbe weiter. Am 25. Oktober (20.15 Uhr) blickt der aktuelle «Aktenzeichen»-Moderator im ZDF auf fünf Jahrzehnte TV-Fahndung zurück – erst mit einer regulären Ausgabe, dann mit einer anschliessenden Dokumentation.

Sabine Zimmermann (66)

Zum 200. Sendungsjubiläum am 6. November 1987 erschien Eduard Zimmermanns Tochter Sabine erstmals am Bildschirm. Ihr Vater stellte sie vor als «eine weitere Assistenz in der Person von Sabine. Familiennamen kann ich mir sparen. Sie ist nämlich meine Tochter.» Die damals 36-Jährige las die aktuellen Fahndungen ebenso nüchtern vor wie ihr Vater, fiel dem Zuschauer aber viel mehr durch ihre oft extravaganten Kostüme und Frisuren auf und ihren vielen Schmuck. An ihrem Vater habe sie bewundert, wie beharrlich er seine Ideen durchgesetzt habe, sagt sie heute. Fügt aber auch an: «Für sein Umfeld und auch für seine Familie war es nicht immer ganz einfach.» Zimmermann agierte ab 1997 als Co-Moderatorin von Butz Peters, ehe sie sich 2002 vom Bildschirm zurückzog, aber im Hintergrund viele Jahre weiter für die Sendung verantwortlich zeichnete. Sabine Zimmermann lebt in München und auf Mallorca.


Butz Peters (59)

Sein Gastspiel bei «XY» war nur kurz. Ende 1997 wurde dem studierten Juristen die schwierige Aufgabe zuteil, in die riesigen Fussstapfen von TV-Legende Eduard Zimmermann treten zu müssen. Er wurde von «Ganoven-Ede» während eines langwierigen Auswahlverfahrens höchstpersönlich zum Nachfolger erkoren. Ende 2001 gab er die Moderation aber bereits wieder ab. Er wollte für das ZDF Reportagen über Verbrechen in Deutschland produzieren.


Rudi Cerne (59)

Seit 15 Jahren ist Rudi Cerne das Gesicht der Fahndungssendung. Der frühere Eiskunstläufer präsentiert die Fälle ebenso sachlich wie Zimmermann, obwohl man ihn zu Beginn für zu glatt, für zu austauschbar hielt. Lange vor seiner Arbeit als TV-Fahnder geriet Cerne 1978 selbst ins Visier der Polizei: Weil er dem RAF-Mitglied Christian Klar (65) zum Verwechseln ähnlich sah, wurde er am Düsseldorfer Flughafen als Terrorist verhaftet. Das Versehen klärte sich aber rasch auf. Mittlerweile sind die Polizisten Cernes Freunde und Helfer: Als «XY»-Moderator arbeitet er sehr eng mit den Ermittlungsbehörden zusammen.


So veränderte sich die «Aktenzeichen»-Titelmusik

2014
2002 - 2013
1997 - 2002
1987 - 1997
1975 - 1987
1967 - 1974

Er ist das aktuelle «Aktenzeichen»-Gesicht: Rudi Cerne.

Interview mit Rudi Cerne:

«Wenn ich an Eduard Zimmermann denke, kommt mir die grosse Brille in den Sinn»

Die Sendung hat eine lange Tradition, das Zuschauerinteresse ist nach 50 Jahren ungebrochen. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Rudi Cerne: Ich kann das unterstreichen. Wir erleben seit Jahren eine gewisse Renaissance. «Aktenzeichen XY ... ungelöst» hat eine ausserordentliche Relevanz – ein Flaggschiff in der deutschen Fernsehlandschaft. Wir haben immer wieder an den Stellschrauben gedreht, aber haben den Ursprung der Sendung nie verändert.

Belasten Sie die Fälle persönlich, wie gehen Sie im Alltag damit um?
Ich habe kein Rezept, aber ich habe einen guten Mechanismus, wie ich nach so einer Sendung relativ gut abschalten kann. Das empfehlen mir auch immer wieder die zuständigen Ermittler. Die Kommissarinnen und Kommissare sind natürlich viel näher an den Verbrechen dran. Ich bin da distanzierter. Aber bei den Spezial-Ausgaben, wenn es um vermisste Kinder und Personen geht: Wenn ich dann Angehörige hier im Studio habe, ist das sehr emotional. Ich kann nichtsdestotrotz nach jeder Sendung gut schlafen.

Welche Erinnerungen haben Sie an Eduard Zimmermann als Erfinder der Sendung?
Ganz spontan: die grosse Brille. Über die hatte man sich meiner Meinung nach oft ungerechtfertigt amüsiert. Was mir sehr in Erinnerung geblieben ist, dass Eduard Zimmermann nie reisserisch war. Ich fand immer sehr beeindruckend, wie sachlich und nüchtern, aber informativ er mit all diesen Informationen umgegangen ist. Und mir hat imponiert, wie er den Kommissaren die Nervosität genommen hat. Eine nachhaltige Begegnung hatte ich mit Eduard Zimmermann bei unserem ersten Gespräch, das in Zürich stattgefunden hat, in einem konspirativen Hotelzimmer. Wir hatten uns dort getroffen, weil alles noch auf der höchsten Geheimhaltungsstufe stattfand – er wusste noch nicht, ob ich einschlagen würde. Eduard Zimmermann war exzellent vorbereitet – danach habe ich zugesagt.

Sie blicken auf 15 Jahre Moderation der Sendung zurück, haben «Aktenzeichen XY ... ungelöst» aber viele Jahre vor dem Bildschirm verfolgt. Was ist Ihnen als Zuschauer in besonderer Erinnerung?
Mir sind natürlich die Riffelglas-Blenden in Erinnerung, die fürchterlichen Taten, die Leichen, die man gefunden, deren Bilder man aber nie gesehen hat. Man hat immer nur Teile gesehen, aber hat schon vorher die Decke vor das Gesicht gezogen. Mir sind aber noch viel mehr die Fälle in Erinnerung, die ich miterlebt habe – beispielsweise der Fall von Levke Strassheim, die mit acht Jahren sexuell missbraucht und getötet wurde. Dieser Fall konnte durch einen sehr trickreichen Kommissar geklärt werden, der über die Ausstrahlung bei «XY» Hinweise bekommen hatte. Auch der Fall der Lolita Brieger: 29 Jahre nach der Tat konnte der Täter überführt werden. Oder Sigrid Paulus, die von ihrem eigenen Ehemann erwürgt worden war. Er hatte sie – wie sich später herausstellte – im Keller eingemauert, hinter einem Weinregal, und sie konnte nie ausfindig gemacht werden. Aber nach der Ausstrahlung bei «XY» gab es den richterlichen Beschluss, Umbaumassnahmen an dem Haus durchzuführen, und tatsächlich konnte der Fall geklärt werden. Das ist dann sehr ergreifend, und das macht uns alle sehr stolz.

Was würden Sie sich für die Zukunft der Sendung wünschen?
Dass wir den Sinn und Zweck der Sendung nie verlassen und wir immer an den Stellschrauben drehen. Eduard Zimmermann hatte mal zu mir gesagt: «Wir müssen mit der Zeit gehen, sonst spielen wir vor leeren Häusern.» Die Einschaltquote ist wichtig für die Aufklärung, und ich hoffe, dass die Aufklärungsquote bei 40 Prozent bleibt – dann sind wir happy.

BLICK-Serie «Aktenzeichen XY ... ungelöst»

Was macht die Faszination von «Aktenzeichen XY … ungelöst» aus? In der dreiteiligen BLICK-Serie lesen Sie alles über den Erfinder der Sendung, den Kultfaktor und die brisantesten Fälle.